Schlaglichter 2001

Das Pflichtexemplar bei Zeitungen – welche Rolle spielt es heute für die Überlieferung der Bestände?

Vortrag von Dr. Kai Walter, Die Deutsche Bibliothek, Frankfurt a. Main, gehalten anläßlich der Fortbildungsveranstaltung "Zeitungen in Bibliotheken und Archiven. Baustein 2 : Bestandserhaltung", Ludwigsburg, 6. und 7. September 2001

 

Anliegen des vorliegenden Referats ist es, die Bedeutung des Pflichtexemplar-Rechts für die Sammlung und Bestandserhaltung von Zeitungen zu untersuchen, dabei die Zeitungssammlung Der Deutschen Bibliothek vorzustellen und sie in Bezug zu den Zeitungssammlungen in den Pflichtexemplar-Bibliotheken der Länder zu setzten. Das Thema zielt mitten in die Problematik der Zeitungssammlung und des Zeitungsbestands in Deutschland. Das gilt sowohl für die Vergangenheit als auch die Gegenwart. Die teilweise heiß geführte Diskussion, ob und wie Zeitungen gesammelt und langzeitarchiviert werden sollten oder auf Grund immer knapper werdender Mittel können, ist zur Genüge bekannt.

Gleich hier eine Begriffsklärung: Was ist unter einer Zeitung zu verstehen? Es gibt bekanntlich Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Fachzeitungen (z.B. die Ärztezeitung, die von Montag bis Freitag erscheint), Amts- und Gemeindeblätter und so fort. Nach den Regeln für die Allgemeine Katalogisierung (RAK) § 9 wird "als Zeitung ein fortlaufendes Sammelwerk bezeichnet, dessen einzelne Teile im allgemeinen regelmäßig mindestens einmal in der Woche erscheinen und über aktuelle Ereignisse berichten". Diese Definition hilft im Grunde nicht weiter, weil sie zwischen einer Zeitung, einer Tageszeitung und einer Zeitschrift (z.B. Typ Spiegel) nicht unterscheidet. Die sicher präziseste, allgemein anerkannte und die Tageszeitung am genauesten bestimmende Definition unter unendlich vielen1 hebt auf die Grundmerkmale der Periodizität, Aktualität, Universalität und Publizität ab.2 Diesen vier definitorischen Grundsätzen soll hier gefolgt werden. Sie liegen auch der Entscheidung Der Deutschen Bibliothek, welche Zeitung als Tageszeitung betrachtet und entsprechend behandelt wird, zugrunde, wobei die Periodizität bei Tageszeitungen dann gegeben ist, wenn diese mindestens dreimal in der Woche erscheinen. Im Folgenden soll allein und nur von diesem letzteren Typus gesprochen werden.

Die Tageszeitungen haben in der Vergangenheit – zumindest auf nationaler Ebene - merkwürdigerweise ein Geschick erfahren, das sie, obwohl Pflichtexemplare wie alle anderen Veröffentlichungen, die in der Regel unter die Pflichtablieferung fallen, von letzteren trennt: Sie werden nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Bücher oder Zeitschriften gesammelt. Sie haben sogar zuweilen ein anderes Schicksal als die übrigen Zeitungen. Woran liegt das? Die Wahrheit ist brutal: Es ist anzunehmen, dass ihre Sammelfähigkeit allein von ihrem Volumen abhängt. Weil Tageszeitungen solchen – auf Dauer- exorbitanten Platz einnehmen, der in den meisten Bibliotheken nicht vorhanden ist, verzichtet man entweder sofort auf sie oder später in Teilen, wie das, prominentestes Beispiel, zur Zeit in der British Library mit dem Bestand an ausländischen Blättern in ihrer weltberühmten Zeitungssammlung geschieht unter dem Aufschrei und heftigsten Protest der Öffentlichkeit. Für die Zeitungsforschung, die Zeitgeschichtsforschung, für die Wissenschaft insgesamt, nicht nur die Geisteswissenschaft, ist der Verlust dieser einzigartigen Primärquelle sehr schmerzlich spürbar und teilweise auch durch Verfilmung nicht wettzumachen.

Wenn man die Situation der Zeitungssammlung in der Bundesrepublik unter dem Gesichtspunkt des Pflichtexemplarrechts im einzelnen nachzeichnet und erläutert, wird man allerdings mit Erleichterung feststellen, dass sie doch nicht ganz so düster aussieht, wie zu befürchten wäre.

Zur Erinnerung: Wir leben in einem föderativen Staatssystem mit 16 Ländern, die in einem Bund zusammengeschlossen sind. Auf beiden Ebenen, der des Bundes und der der Länder gibt es eine National- bzw. eine bis zu einer Mehrzahl (z.B. Hessen oder Nordrhein-Westfalen) von Landesbibliotheken, ausgestattet im Fall der Nationalbibliothek, die sich nicht als solche benennt, sondern Die Deutsche Bibliothek heißt, mit einem eigenen Gesetz, das von 1969 stammt, und im Falle der Länder mit Pflichtexemplarregelungen, die gewöhnlich in den Pressegesetzen und ihren Ausführungsbestimmungen untergebracht sind.

Die Landesbibliotheken sind in der Regel die viel traditionsreicheren Bibliotheken mit altem, zum Teil sogar sehr altem Zeitungsbestand, wenn der Krieg diese nicht zerstört hat, die auf landesherrlichen Sammlungen aufbauen konnten wie etwa in Stuttgart, in München, Hannover usw. Auf nationaler Ebene gibt es diese Tradition nicht. Hier hat man erst 1913, und zwar auf, wie man heute sagen würde, Initiative der Privatwirtschaft hin, nämlich des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, mit der Sammlung des deutschen Schriftguts begonnen und zu diesem Zweck die Deutsche Bücherei in Leipzig gegründet. Bis 1923 hat die Deutsche Bücherei zwar einige große Zeitungen gesammelt, dann aber 10 Jahre lang die Sammlung von Tageszeitungen völlig unterbrochen und sie erst ab 1934 in größerem Umfang wieder aufgenommen. Nach 1945 hat sie die Zeitungen der SED bis hin zu den 14 Bezirksausgaben gesammelt, die Bezirksausgaben aber ohne die Regional- und Lokalseiten, sowie die Organe der großen Parteiorganisationen. Sie werden dort im Original aufgehoben.

Die Deutsche Bibliothek in Frankfurt am Main, 1949 den Zeitumständen der Nachkriegszeit folgend, wiederum vom Börsenverein, der sich nach 1945 eben dort niedergelassen hatte, gegründet und erst 1969 vom Bund übernommen, hat ihre Abstinenz gegenüber den Tageszeitungen bis 1968 fortgeführt.

Es muss festgehalten werden, dass es auf nationaler Ebene bis zu diesem Zeitpunkt keine Zeitungssammlung gab, mit allen Nachteilen, die eine solche Lücke im national gesammelten Schriftgut mit sich bringt (man denke nur an die reichen Bestände in Wien, Paris, London, St. Petersburg), und, was erschwerend hinzukommt, es fehlt damit ihre bibliographische Erfassung in den nationalen bibliographischen Nachweisen. Dieser Mangel wirkt bis heute auf das Unglücklichste fort.

Seit 1969 hat sich Die Deutsche Bibliothek allerdings auch der Sammlung von Tageszeitungen gestellt. Schon damals wurde eine heftige Diskussion über die Frage geführt, ob Zeitungen, wenn man sie denn sammelt, eher im Original oder doch nicht besser in der Form des Mikrofilms langzeitarchiviert werden sollten. Die Deutsche Bibliothek schloss sich der Auffassung an, dass das Papier der Tageszeitungen auf Dauer nicht haltbar sein und unter der Benutzung stärker als andere Papiere leiden würde (was übrigens bis heute gilt). Die Entsäuerung des Papiers war damals noch nicht bekannt, und die Sicherheitsverfilmung auf Mikrofilm erschien als der einzige Garant einer Langzeiterhaltung. Entsprechend hat man in Der Deutschen Bibliothek gehandelt. Dass sie damals bereits unter großem Platzmangel litt, hat den Entschluss natürlich noch zusätzlich bestärkt. Konsequenterweise wurden die Originale nach der Verfilmung vernichtet. Wochenzeitungen und die unendliche Zahl an Fachzeitungen und Gemeindeblättern, die in die vielen Tausenden gehen, haben in der Regel natürlich kein anderes Papier, aber sie wurden, ein Glück für sie, dass sie nicht unter die Definition der Tageszeitungen fielen, soweit möglich lückenlos weiterhin im Original gesammelt und aufbewahrt. Die Deutsche Bibliothek hat also einen sehr großen Bestand an Zeitungen bundesweit, nur eben nicht (besonders viel Platz beanspruchende) Tageszeitungen.

Die Praxis Der Deutschen Bibliothek, Tageszeitungen im verfilmten Zustand zu sammeln, floss in das Gesetz über die Deutsche Bibliothek ein bzw. in dessen Ausführungsbestimmungen in der Pflichtstückverordnung, wo es klar heißt: "Tageszeitungen (werden nicht gesammelt), sofern sie nicht (von der Deutschen Bibliothek) angefordert werden" – und zwar zur Mikroverfilmung (PflStV § 4 Abs.11).

Die Entscheidung Der Deutschen Bibliothek war durch die Gewissheit erleichtert, dass in den Bundesländern (damals natürlich nur denen der alten Bundesrepublik) die Tageszeitungen nach wie vor im Original aufbewahrt wurden. Es gab damals und in nachfolgenden Abstimmungen bis hin zu zwei großen Pflichtexemplar-Kolloquien 1989 und 1996, auf denen die Zeitungssicherung ein zentrales Thema war, mit den Leitern der Landesbibliotheken Gespräche und Übereinkünfte, in denen nicht nur die Sammelprofile und regionalen bzw. lokalen und die landesbezogenen Besonderheiten von Sammelschwerpunkten besprochen und abgestimmt wurden, sondern bei Tageszeitungen eben diese Sicherung der Originale Gesprächsthema war. Die Forderung der Sicherung der originalen Bestände ist in den Protokollen festgehalten worden, und bis heute haben sich die Landesbibliotheken an diesen Grundsatz in der Regel gehalten, so dass man davon ausgehen kann, dass von jeder in Deutschland erscheinenden Tageszeitung zumindest einmal an einem Ort, gewöhnlich an einer (Landes-)Bibliothek oder einem kommunalen Archiv, ein Original vorhanden ist. Erst in den letzten Jahren ist man teilweise dazu übergegangen, dieses Prinzip zu verlassen.

Die Zeitungsverfilmung entwickelte sich in Der Deutschen Bibliothek anfangs nur langsam, aber seit etwa Mitte der 1970er Jahre deckt das Verfilmungsprogramm alle Tageszeitungen mit Voll- oder Gemeinschaftsredaktion ab, zusammen sind das rund 125 Blätter, ab. Hinzu kommen Regional- und Lokalausgaben. Die Auswahl erfolgte und erfolgt bis heute nach bestimmten Kriterien, nämlich der Bedeutung des Blattes für seine bestimmte Region, seiner Auflagenstärke und der Siedlungsdichte, in der es erscheint. Dabei wird sichergestellt, dass auch dünner besiedelte Gebiete proportional berücksichtigt werden und nicht zu kurz kommen.

Insgesamt lässt Die Deutsche Bibliothek derzeit rund 400 von den ungefähr 1600 in Deutschland erscheinenden Tageszeitungen verfilmen. Ihre Zeitungssammlung ist also recht begrenzt. Erst wenn man den Begriff der Zeitung im weiteren Sinn zugrunde legt, also von den Wochenzeitungen bis zu den Gemeindeblättern alles, was dazugehört, einschließt, kann man sie als sehr umfassend und auch verhältnismäßig vollständig bezeichnen.

Grundsätzlich werden alle Tageszeitungen, die Die Deutsche Bibliothek verfilmen lässt, vollständig aufgenommen, das heißt nicht nur die Hauptausgaben, sondern auch Nebenausgaben, Regional- und Lokalblätter, die wir verfilmen lassen, werden vollständig mitsamt Mantel, Beilagen, Anzeigen und was sonst zur Ausgabe zählt, verfilmt. Erst in diesem Jahr ist Die Deutsche Bibliothek von dem bisher hoch gehaltenen Grundprinzip abgegangen. In Absprache mit Herrn Professor Bohrmann, Leiter des Instituts für Zeitungsforschung und des Mikrofilmarchivs der deutschsprachigen Presse, wurde entschieden, dass von einer Nebenausgabe, die bisher zwei Regionen bediente, sich nun aber teilte, um die beiden Regionen mit je einem eigenen Blatt zu versorgen, nur der Lokalteil, der, was die Entscheidung erleichterte, aus einem leicht zu identifizierenden gesonderten Blatt besteht, verfilmt wird, während die andere Nebenausgabe wie bisher vollständig aufgenommen wird. Die knappen finanziellen Mittel hätten als Alternative nur zugelassen, eine der beiden Regionalausgabe gar nicht zu berücksichtigen.

Insgesamt hat Die Deutsche Bibliothek zur Zeit rund 450 Titel in ihrem Verfilmungsprogramm, einige davon in Kooperation mit Pflichtexemplar-Bibliotheken der Läder. Wenn man bedenkt, dass es in Deutschland gegenwärtig insgesamt circa 1600 Tageszeitungen gibt, ist das bedrückend wenig, aber für eine Erweiterung des Programms reichen die finanziellen Mittel absolut nicht, im Gegenteil ist das Verfilmungsprogramm durch die rigiden Haushaltskürzungen in seinem jetzigen Umfang akut gefährdet.

Die Verfilmung selbst erfolgt im Lohnauftrag. In bisher zweijährigem Turnus erfolgen inzwischen europaweite offene Ausschreibungen, die sich an die "Allgemeinen Bedingungen für die Vergabe von Leistungen 2 (VOL Teil A und Teil B) halten. Erst für die kommende Vergabe wird Die Deutsche Bibliothek auf eine Laufzeit von drei Jahren , also von 2002 bis Ende 2004, übergehen, da eine längere Laufzeit wirtschaftlicher ist. Die Verfilmer erhalten die Zeitungen direkt vom Verleger bzw. vom Vertrieb, vorzugsweise monatlich, kollationieren sie und sind für Lückenmahnungen verantwortlich.

Da die Zeitungsverfilmung und damit auch die Sammlung erst 1969 einsetzt, gibt es natürlich keinen Vorbestand. Die Deutsche Bibliothek versucht, diesen nach und nach ergänzend zu beschaffen, vornehmlich mit Hilfe des Mikrofilmarchivs der deutschsprachigen Presse und seiner reichen Bestände. Die Ergänzungen werden, wenn die entsprechenden Zeitungen bereits anderswo verfilmt vorliegen, nur in Diazokopie angeschafft, wenn sich kein Masterfilm nachweisen lässt, dieser sowie eine Arbeitskopie erworben. Ganz allmählich und leider viel zu langsam beginnen sich dadurch die Lücken zu schließen.

Eine andere Maßnahme zur Bestandsergänzung ist durch einen Kooperationsvertrag mit dem Mikrofilmarchiv möglich geworden. Er hat zum Ziel, solche Zeitungen der Nachkriegszeit aufzuspüren, die bisher noch nirgendwo verfilmt worden sind, also in erster Linie Militärzeitungen sowie Lizenz- und Altverlegerzeitungen der vierziger und frühen fünfziger Jahre. Die Recherchearbeiten in den Bibliotheken und Archiven der Bundesrepublik hierzu und die Ausleihe dieser Blätter zum Zweck der Sicherheitsverfilmung sind, wie nicht anders zu erwarten, enorm aufwendig und mühsam. Diese Arbeit wird von dem Mikrofilmarchiv und das heißt von seinem Leiter, Herrn Professor Bohrmann, und seinen wenigen Mitarbeitern allein bestritten. Es sei an dieser Stelle erlaubt, auf die immense Arbeitsleistung und Detailkenntnisse, die Professor Bohrmann in die schrittweise Realisierung dieses großen Projekts eingebracht hat und einbringt, hinzuweisen. Nicht nur Die Deutsche Bibliothek, sondern die deutsche Bibliothekswelt insgesamt und damit natürlich auch Wissenschaft und Forschung schulden ihm großen Dank für diesen Einsatz.

Der Kooperationsvertrag hat es möglich gemacht, dass Die Deutsche Bibliothek ihre Bestände an Tageszeitungen nicht nur gegebenenfalls bis 1945 zurück ergänzen kann auch dann, wenn es bisher nicht einmal einen Bestandsnachweis gab, sondern auch neue Titel aufnehmen kann, zum Beispiel Militärzeitungen und frühe Lizenz- oder Altverlegerzeitungen, die wieder eingegangen sind. Wenn Die Deutsche Bibliothek aus finanziellen Gründen Verfilmungen nicht übernehmen kann, übernimmt sie das Mikrofilmarchiv, dessen Bestand an Masterfilmen von Zeitungen (keine Diazokopien) sehr groß ist und zur Langzeitsicherung der Zeitungen in Deutschland entscheidend beiträgt.

Die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Der Deutschen Bibliothek und den Landesbibliotheken, wie sie in einigen Fällen seit längerer Zeit bereits geschieht, könnte ebenfalls weiterhelfen. Wenn sich die beteiligenden Partner und Die Deutsche Bibliothek die Verfilmungskosten teilten, könnten die dadurch frei werdenden Mittel für die Verfilmung solcher laufenden Tageszeitungen, eingesetzt werden, die bisher nicht berücksichtigt werden konnten – und das ist immer noch der ganz überwiegende Teil aller erscheinenden Blätter. In der Wahl der Titel würde sich Die Deutsche Bibliothek durchaus auf die Wünsche der kooperierenden Bibliotheken einstellen können. Aufgrund ihrer Ausschreibungen für den trotz allem beträchtlichen Umfang an zu verfilmenden Zeitungen erzielt Die Deutsche Bibliothek sehr günstige Konditionen, an denen die beteiligten Partner teilhaben würden. Die Wahl, ob sie einen Silberfilm oder eine Diazokopie oder beides beziehen wollten, liegt bei ihnen.

Wenn bisher nur von Der Deutschen Bibliothek und ihren Aktivitäten bei der Sammlung und Langzeitsicherung von Tageszeitungen die Rede war, so ergibt dies natürlich nur ein sehr unvollständiges Bild im Hinblick auf die Gesamtsituation in Deutschland. Die Bedeutung der Landesbibliotheken für die Erfassung, Sammlung und Archivierung der Zeitungen, die innerhalb ihres Pflichtbereichs erscheinen, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ohne ihre Tätigkeit wäre die Sammlung der Tageszeitungen in Deutschland sehr fragmentarisch.

Ein kurzer Überblick über die verschiedenen Sammelprofile bei Zeitungen in den Pflichtexemplarbibliotheken der Länder konnte aus zeitlichen Gründen nicht alle 16 Länder berücksichtigen. Aber er kann beispielhaft verdeutlichen, wie intensiv der Einsatz ist und wie je nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Kräfte, finanziellen Mittel und räumlichen Möglichkeiten die einzelnen Pflichtexemplar-Bibliotheken zu neuen Lösungen bei der Langzeitarchivierung gelangen (oder gezwungen werden) oder aber bewährte weiterführen können.

Die Bayerische Staatsbibliothek in München sammelt alle Haupt- und Nebenausgaben der in Bayern erscheinenden Zeitungen, die Nebenausgaben jedoch ohne Mantel nur mit ihrem Lokalteil. Alle Zeitungen werden gebunden. Eine Sicherheitsverfilmung findet nicht statt. Allerdings werden von den großen überregionalen Zeitungen wie der Süddeutschen Zeitung Diazo-Benutzungsfilme erworben.

Der historische Bestand an bayerischen Zeitungen (im weiteren Sinne und nicht nur Tageszeitungen betreffend) ist groß und reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Dieser Bestand sowie die entsprechenden Bestände in anderen Bibliotheken und Archiven Bayerns sind Gegenstand eines derzeit laufenden Projekts, das den Titel trägt: "Bayerische Zeitungen und Amtsblätter bis einschließlich Erscheinungsjahr 1944". Ziel des Projektes ist ihre Sichtung und die Erstellung einer Bibliographie mitsamt Bestandsnachweis der bayerischen Standorte. Zugleich wird ein Verfilmungskonzept erstellt, das auf der Basis einer gutachterlich gestützten Prioritätenliste die Verfilmung der Bestände voranbringen soll.

Die Sammlung der Tages- und Wochenzeitungen in Baden-Württemberg wird nach den Regierungsbezirken zwischen den beiden Landesteilen abgestimmt. Die Zuständigkeiten der beiden Landesbibliotheken Stuttgart und Karlsruhe wurden im Zuge der Gemeinde- und der Gebietsreform neu festgelegt, sie bilden sich dementsprechend im Bestandsaufbau ab. Das baden-württembergische Pflichtexemplargesetz erlaubt seit seiner Novellierung 1976 den Verzicht auf Zweitexemplare bei fehlendem öffentlichen Interesse. In der Regel werden deshalb die Zeitungen des Landes nur einmal gesammelt.

Die Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart sammelt die Haupt- und Nebenausgaben aller Zeitungen, die in den Regierungsbezirken Stuttgart und Tübingen erscheinen - wobei die Nebenausgaben und Regionalteile stets im Zeitungsmantel verbleiben - sowie die wichtigsten Zeitungen des badischen Landesteils (nur die Hauptausgaben). Alle Zeitungen (ca. 270 Titel) werden im Original archiviert, entweder gebunden oder – soweit sie verfilmt oder als Kopiefilm erworben werden - verpackt und damit staub- und lichtgeschützt gelagert, was die Lebensdauer der Originale wesentlich verlängert. 29 Zeitungen, überwiegend Nebenausgaben mit ihrem Mantel, lässt die Landesbibliothek derzeit laufend verfilmen (Kamera- und Benutzungsfilm). Eine Ausweitung dieses Verfilmungsprogramms scheiterte bisher an den laufenden hohen Kosten. Von weiteren 14 Pflichtzeitungen , die von anderen Bibliotheken und Anbietern bereits verfilmt werden, erwirbt sie Kopiefilme, so auch von den beiden großen Stuttgarter Zeitungen.

Die historischen Bestände sind zu großen Teilen im Krieg vernichtet worden, nur die Bestände zwischen 1895 und 1913, die ausgelagert waren, blieben weitgehend erhalten. Es wird versucht , so viel wie möglich wiederzubeschaffen oder zu ergänzen und dann natürlich auch zu verfilmen bzw. bei Verfilmungsprojekten anderer Bibliotheken und Archive Duplikatfilme zu beschaffen. Grundsätzlich werden auch die retrospektiv und sicherheitsverfilmten Zeitungen im Original aufbewahrt. Ab 1945 sind die im Einzugsbereich der Landesbibliothek erschienenen Zeitungen nahezu lückenlos vorhanden.

Die Badische Landesbibliothek Karlsruhe sammelt sämtliche Haupt- und Nebenausgaben der Zeitungen, die in den Regierungsbezirken Karlsruhe und Freiburg erscheinen, sowie wichtige Zeitungen aus dem württembergischen Bereich. Die Nebenausgaben werden nicht aus ihrem Mantel herausgelöst. Soweit möglich wurden und werden sie verfilmt, zum Teil in Kooperation mit Der Deutschen Bibliothek. Einer neueren Politik der Landesbibliothek zufolge, gestützt inzwischen auf eine in diesem Jahr erfolgte Änderung der Durchführungsverordnung, werden die Originale der Nebenausgaben, wenn sie verfilmt sind, nicht mehr aufbewahrt, sondern an die Verlage oder andere interessierte Stellen kostenlos ab- bzw. zurückgegeben. Die Hauptausgaben werden weiterhin auch nach ihrer Verfilmung im Original aufbewahrt. Das gleiche Grundprinzip gilt auch für die angestrebte Rückwärtsverfilmung der Zeitungen aus den Jahren 1945 bis 1981.

Die Bestände vor 1945 sind in Karlsruhe alle verfilmt, sie werden auch nach der Verfilmung grundsätzlich weiter im Original aufbewahrt, das gilt sowohl für die Haupt- wie für die Nebenausgaben. Die Kriegszerstörungen haben sehr große Lücken hinterlassen, die die Landesbibliothek nach und nach zu schließen bemüht ist.

Die Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main besitzt das Pflichtexemplarrecht für die Stadt Frankfurt. Sie sammelt die dort erscheinenden Zeitungen nur in Auswahl, allerdings alle überregionalen, letztere mit ihren Stadtausgaben. Stadtteilzeitungen, auch als Beilagen der großen überregionalen Ausgaben, werden nicht berücksichtigt. Es gibt eine Art Arbeitsteilung, nach der diese Aufgabe dem Stadtarchiv überlassen wird. Alle von der Bibliothek gesammelten Ausgaben werden verfilmt oder, wenn eine Ausgabe als Film angeboten wird, dieser gekauft oder als Pflichtexemplar bezogen. Die verfilmten Papierausgaben werden nicht aufbewahrt. Die historischen Bestände bleiben dagegen auch, wenn sie sicherheitsverfilmt sind, im Original erhalten.

In der Landesbibliothek und Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel, die das Pflichtexemplarrecht für den Regierungsbezirk Kassel (die historische Landgrafschaft Hessen-Kassel) ausübt, werden alle Haupt- und Nebenausgaben gesammelt, gebunden und archiviert, die Nebenausgaben allerdings aus Platzmangel nur mit ihren Lokalteilen. Eine Sicherheitsverfilmung findet wegen der fehlenden finanziellen Mittel nicht statt. Anders sieht es bei den historischen Zeitungsbeständen aus. Hier sind sämtliche Zeitungen in Zusammenarbeit mit der UB Marburg verfilmt und soweit wie möglich ergänzt worden. Die originalen Altbestände werden – soweit noch vorhanden - aufbewahrt.

Innerhalb Nordrhein-Westfalens hat die Universitäts- und Landesbibliothek Münster das Pflichtexemplarrecht für die Regierungsbezirke Arnsberg, Detmold und Münster (die historische Provinz Westfalen) inne. Dort wird flächendeckend gesammelt, die Hauptausgaben vollständig und gebunden, die Nebenausgaben schon seit längerer Zeit entmantelt und entsprechend nur mit ihren Regional- oder Lokalteilen gebunden, denen am Anfang eines jeden Jahrgangs die Titelseite des Mantels, aus dem sie herausgenommen worden sind, mitgebunden ist. In neuerer Zeit werden Zeitungen, die verfilmt werden, nicht mehr gebunden, sondern ausgesondert. Das gilt sowohl für Haupt- wie für Nebenausgaben. Auf Grund der äußerst angespannten Haushaltssituation erwägt man, die Zeitungen, die nicht verfilmt werden können, in Zukunft nicht mehr zu binden, sondern sie einzumappen oder einzupacken. Die historischen Bestände wurden im Krieg ohne Ausnahme vernichtet, nach 1945 neu erworbene historische Bestände werden oder sind sicherheitsverfilmt und werden zusätzlich im Papier-Original aufbewahrt.

In der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, die das Pflichtexemplarrecht für den Regierungsbezirk Köln besitzt, wurden und werden nur die Hauptausgaben des Einzugsgebiets gesammelt, und die vollständig. Auf die einzelnen Regional- und Lokalausgaben wurde schon immer verzichtet, notgedrungenermassen wird auch auf eine systematische Lückenergänzung bei den gesammelten Blättern verzichtet. Mit Ausnahme von zwei Bonner Blättern findet keine Verfilmung statt. Die historischen Bestände vom 19. Jahrhundert bis zum Kriegsende sind oder werden dagegen alle verfilmt und die Lücken, soweit möglich, ergänzt. Für alle verfilmten Blätter, die historischen wie die neueren, gilt, dass die Papier-Originale gebunden aufbewahrt werden. Die Bände werden zusätzlich durch Packpapier-Ummantelung vor Benutzung, Staub und Licht geschützt.

Die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen sammelt sämtliche Haupt- und Nebenausgaben, naturgemäß keine sehr umfangreiche Zahl, vollständig, auch die Stadtteilzeitungen, und bindet sie. Soweit die Mittel reichen, erwirbt sie Benutzerkopien (zur Zeit von zwei Zeitungen). Auch wenn Filme vorliegen, werden die Originale aufgehoben. Die historischen Bestände vor 1945 sind alle sicherheitsverfilmt und werden zusätzlich im Original archiviert.

Die Niedersächsische Landesbibliothek Hannover sammelt die Zeitungen in ihrem Geltungsbereich, wie fast überall üblich, mit dem Anspruch auf Vollständigkeit. Das gilt insbesondere für die Zeit ab 1960. Die Lokalteile werden zum Teil entmantelt, zum Teil aber auch komplett aufbewahrt. Aus finanziellen Gründen muss auf eine laufende Verfilmung verzichtet werden, dagegen sind die historischen Bestände, die durch die Luftangriffe im Krieg stark dezimiert worden sind, verfilmt oder werden mit Hilfe von geplanten Projekten verfilmt werden. In jedem Fall werden auch hier die verfilmten historischen Bestände weiterhin im Original aufbewahrt.

Ganz ähnlich wird in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel verfahren. Es werden alle Haupt- und Nebenausgaben gesammelt, die Lokal- und Regionalteile entmantelt und im Original archiviert (gebunden). Für mehrere Zeitungen gibt es ein Abonnement der Mikrofilmausgabe. Bei diesen Titeln werden die Originale nicht mehr gebunden, sondern in Kartons aufbewahrt. Wenn es von Zeitungen Filme gibt, werden Gebrauchskopien beschafft, größere Bestände werden auch in Kooperation mit anderen Partnern (Bibliotheken, Archiven, Verlagen) für die Verfilmung in Auftrag gegeben. Die Originale bleiben grundsätzlich erhalten.

Seit Mitte der 80er Jahre sind im Rahmen des DFG-Programms "Verfilmung historisch wertvoller Zeitungen" die Zeitungsbestände der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek verfilmt worden. Der größte Teil der noch existierenden schleswig-holsteinischen Zeitungen liegt somit verfilmt vor. Das Programm zur Verfilmung historischer Zeitungen wird in eigener Regie (und mit eigenen Mitteln) fortgeführt. Kriegsverluste hat es, soweit bekannt, nicht gegeben.

Die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen Anhalt in Halle sammelt alle in ihrem Einzugsbereich erscheinenden Zeitungen. Die Lokalteile der Nebenausgaben werden herausgenommen und mit dem Mantel der Hauptausgabe gebunden. Eine Verfilmung der laufenden Ausgaben findet nicht statt.

Die sehr reichen historischen Bestände der Bibliothek aus der alten Provinz Sachsen gehen bis in das 17. Jahrhundert zurück. Seit 1825 bezog die Bibliothek Pflichtexemplare. Diese Schätze konnten noch nicht alle gesichtet und inventarisiert werden. Soweit dies geschehen und möglich ist, sind sie sicherheitsverfilmt oder ist vorgesehen, sie zu verfilmen. Ab 1946 wurden die Ausgaben für Sachsen-Anhalt, von 1952 bis 1990 die für die Bezirke Halle und Magdeburg gesammelt. Die Lokalteile wurden entmantelt, was keine Probleme aufwarf, da sie in der DDR-Zeit klar vom Mantel getrennt waren. Die Originale werden grundsätzlich auch nach der Verfilmung aufbewahrt.

Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden sammelt flächendeckend sämtliche in Sachsen erscheinenden Zeitungen. Von den Nebenausgaben werden nur die Regional- bzw. Lokalteile archiviert. Diese werden laufend verfilmt, die Originale werden aufbewahrt, das heißt sie werden der Benutzung entzogen und licht- und staubgeschützt verpackt. Bei den Zeitungen, die die Landesbibliothek in Kooperation mit Der Deutschen Bibliothek verfilmen lässt, wird nach den Verfilmungsgrundsätzen Der Deutschen Bibliothek verfahren, es werden also auch die Nebenausgaben jeweils vollständig mit Mantel aufgenommen. Im Original werden die Nebenausgaben ohne Mantel ungebunden licht- und staubgeschützt verpackt und archiviert. Eine Besonderheit der Landesbibliothek ist, dass sie die Originale der Hauptausgaben binden lässt und der Benutzung auch nach der Verfilmung weiter zur Verfügung stellt.

Unter den historischen Beständen gibt es große Lücken, die Jahrgänge 1933 bis 1945 sind vollständig verloren gegangen. Die Zeitungen vor 1945 sind, soweit in der Landesbibliothek vorhanden, fast komplett verfilmt, die Lücken wurden durch Bestände der sächsischen Stadtarchive und des Staatsarchivs geschlossen, um eine möglichst vollständige Verfilmung zu gewährleisten. Der Zeitungsbestand der Jahre 1945 bis circa 1960, der größere Lücken aufweist, konnte für den Zeitraum 1945 bis 1952 durch den Erwerb von Mikrofilmen ergänzt werden.

Als Fazit dieses Kurz-Überblicks lässt sich zusammenfassen, dass die Landesbibliotheken ihre Aufgabe der Sammlung und Sicherung der in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich erscheinenden Zeitungen sehr ernst nehmen. Wenn sich der vorliegende, überaus knappe Zustandsbericht , wie einleitend betont, auch nur mit Tageszeitungen beschäftigt, so sei hier doch ergänzend angemerkt, dass in den befragten Landesbibliotheken immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass die flächendeckende Sammlung sich auch auf die nicht als Tageszeitung geltenden Blätter bis hin zu den Gemeinde- und Amtsblättern erstreckt. Das Engagement und der Wille zur Vollständigkeit sind groß. Die Annahme, dass die Sammlung und Archivierung der Zeitungen in Deutschland durchaus nicht so selektiv und lückenhaft, wie befürchtet, ist, bestätigt sich. Auch die Abstimmungen zwischen den Landesbibliotheken und Der Deutschen Bibliothek auf den Symposien von 1989 und 1996, nach der jede Zeitung zumindest einmal - und das heißt in der Regel in der Landesbibliothek – in ihrer originalen Papierausgabe archiviert sein sollte, wird in der überwiegenden Anzahl der Fälle eingehalten. Wenn der Zeitungsbestand von 1945 bis zum Beginn der 60er Jahre auch lückenhaft ist und die Recherchen so mühsam sind, so hat sich die Lage seither entscheidend verbessert.

Eine Frage eigener Art ist die Handhabung der Langzeitarchivierung der Zeitungen. Die Verfilmung als zuverlässigste Sicherung des Bestandes wird allgemein anerkannt, ihre Realisierung, soweit Mittel gewonnen werden können, forciert. Bei der Frage allerdings, wie es mit den verfilmten originalen Papierausgaben zu halten sei, scheiden sich die Geister. Ausschlaggebend sind hierfür einmal das von Fall zu Fall verschiedene, aber immer zu knappe Raumangebot und zum anderen der grundsätzliche Standpunkt hinsichtlich des Sinns der Archivierung der Papierausgaben. Nur sehr wenige Bibliotheken mit Pflichtexemplarrecht trennen sich nach der Verfilmung von den Originalen wie Die Deutsche Bibliothek, die von vornherein die Archivierung mit der 1969 noch berechtigten Annahme ausschloss, dass die Papierausgaben von den Landesbibliotheken selbstverständlich aufbewahrt werden. Neben Der Deutschen Bibliothek sind das seit neuerer Zeit die Badische Landesbibliothek Karlsruhe, die Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt und die Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Möglicherweise steht im Vordergrund der Überlegungen hierbei außer der Raumfrage auch die, dass der Inhalt in jedem Fall gesichert ist, Zusatzinformationen, die das Original liefert, z.B. durch wesentlich bessere Bildqualität, zu vernachlässigen sind und die Originale für die normale Benutzung ohnehin nicht mehr herangezogen werden. Gegenargumente wie etwa der Erhalt des gesamten Spektrums der Aussagen eines Dokuments, der nur im Original gegeben ist, und die Authentizität des Originals erscheinen den Befürwortern der alleinigen Archivierung der Zeitung auf Film als nicht zwingend und nicht stringent genug. Insbesondere die Unzuverlässigkeit der Verfilmung scheint nicht genug bedacht zu sein oder anders gewichtet zu werden. Es ist bekannt, wie zeitaufwendig die genaue Qualitätsüberprüfung der Verfilmungen und wie in der Regel vergeblich die nachträgliche Beschaffung von fehlenden Stücken ist. Aber nicht nur Grundsatzfragen und Sachzwänge spielen bei der Entscheidung über die Archivierung von verfilmten Originalen eine Rolle, sondern auch persönliche Vorlieben. Sie können durchaus Ansätze bei der Entscheidungsfindung vorgeben und Problemlösungen in bestimmte Richtungen lenken. Eine echte Alternative gibt es nicht. Der Idealzustand ist nach wie vor die Verfilmung bei adäquater Langzeitarchivierung der Originale unter regulärem Benutzungsausschluss. Wie alterungsbeständig die Filme sind, bleibt abzuwarten. Diazokopien aus den 50er und 60er Jahren beginnen hier und da brüchig zu werden, die Erneuerung des Trägermaterials ist eine Frage der Zeit, auch wenn unterstellt wird, dass dieses heutzutage von besserer Qualität und damit sicherer sein sollte als in der Frühzeit der Verfilmung.

Gestützt wird die Forderung des grundsätzlichen Erhalts der Originale zuletzt durch eine Stellungnahme der Rechtskommission des EDBI zur Aufbewahrungspflicht von Pflichtexemplaren.3 In ihr wird eigens darauf hingewiesen, dass aus der Verfilmung eines Blattes nicht dessen Makulierung abzuleiten ist, wenn es sich um ein Pflichtstück, und nur um dieses geht es hier, handelt. Die Aufbewahrung der Originale entlastet nicht nur die übrigen Bibliotheken und Archive eines Landes, die die Makulierung zum Zweck der Magazinplatz-Gewinnung eher vornehmen können, viel entscheidender noch ist die Tatsache, dass die Pflichtstücke - und also auch die Tageszeitungen – als Träger geistigen und kulturellen Allgemeinguts nicht nur vollständig zu sammeln und für die Öffentlichkeit bereitzuhalten, sondern auch vollständig der Nachwelt zu überliefern sind.4 Die Stellungnahme der Rechtskommission beruft sich dabei ausdrücklich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtscharakter des Pflichtexemplars und weist darauf hin, dass dessen Auslegung nach Rechtslehre und Rechtsprechung eng und restriktiv zu erfolgen hat.5 Im übrigen beruft sich die Stellungnahme auf die Empfehlungen der KMK zur Erhaltung der vom Papierzerfall bedrohten Bibliotheksbestände von 19936, die nach wie vor ihre Gültigkeit besitzen. Den Empfehlungen zufolge dient die Sicherheitsverfilmung nicht einfach der Rettung des Inhalts, sondern des bedrohten Originals. Selbst wenn die Technologie eine noch längere und sicherere Aufbewahrung in anderer Form garantieren sollte, bleibt zu bedenken, dass zum originalen Pflichtstück nicht nur der Inhalt gehört, sondern auch die Form, in der er bzw. durch die er präsentiert wird. Beide sind nicht zu trennen, erst zusammen bilden sie die unverwechselbare Identität und Authentizität des Pflichtstücks. Die Tageszeitung macht da keine Ausnahme.

Fast durchgehend werden in den Landsbibliotheken die Nebenausgaben nur mit ihren Regional- oder Lokalteilen aufbewahrt. Wie dies gelingt, hängt entscheidend von der Aufmachung des Blattes ab. Wenn im Mantel eine Nebenausgabe, häufig mit eigenem Untertitel, eingelegt ist, ist die Trennung verhältnismäßig problemlos. Allerdings müsste der Zusammenhang mit dem Mantel stets nachvollziehbar bleiben, was nicht immer gegeben ist. Sehr problematisch ist der andere Fall, dass die Regional- und Lokalnachrichten nicht allein in dem dafür vorgesehenen Teil, sondern auch im Mantel platziert werden und sei es auch nur als Kurzfassung oder Hinweis auf den vollständigeren Text im Regionalteil. Fast unmöglich wird eine Trennung, wenn die Nachrichten der Hauptausgabe und ihrer Nebenausgaben stets neu gemischt und gar nicht mehr genau geschieden werden, was bei den heute möglichen Vervielfältigungstechniken kein Problem ist. In solchen Fällen bekennen sich die für die Trennung der Nebenausgaben vom Mantel Verantwortlichen zum "Mut zur Lücke". Das hat bei der überbordenden Informationsflut viel für sich. Dennoch wird man nicht umhin können festzustellen, dass der Sinn der Pflichtabgabe, also der Auftrag, das deutsche Schrifttum möglichst lückenlos zu sammeln, zu dokumentieren und zu archivieren, damit nicht erfällt ist. Die Pflichtabgabe ist eine Naturallast, die dem Gemeinwohl dient und zur Dokumentation einer kulturellen Identität beiträgt. So sehr man über die Vollständigkeit einer nationalen Sammlung, wieweit sie möglich oder sinnvoll ist, diskutieren mag, hier wird sie von vornherein und bewusst negiert.

Auf Tageszeitungen, die vereinzelt inzwischen auch im Internet erscheinen, und dies nicht nur als Auszüge aus den konventionellen Papierausgaben wie etwa die Frankfurter Allgemeine, sondern als eigene Publikationen, wird hier nicht eingegangen. In der Gesetzgebung des Bundes und der meisten Bundesländer ist die Ablieferung der Online-Veröffentlichungen noch nicht geregelt. Die Arbeiten an der Sicherung einer Dauerarchivierung dieses Medium sind weit fortgeschritten und werden teilweise bereits praktiziert, auch in Der Deutschen Bibliothek, aber ohne gesetzliche Grundlage ist ein konsequenter Sammelauftrag von Online-Publikationen natürlich nicht durchführbar. Das gilt auch für die Tageszeitung.

1 E. Dovifat, Zeitungslehre, Bd. 1, bearb. von J. Wilke, Berlin 1976, S. 16

2 O. Groth, Die Geschichte der deutschen Zeitungswissenschaft. Probleme und Methoden, München 1948, S. 339; s. auch Dovifat, ebd. S. 16 ff.

3 G. Beger, Zur Aufbewahrungspflicht von Pflichtexemplaren. Stellungnahme der Rechtskommission des EDBI, Vortrag vom 27.7.2001, unveröffentl. Ms (die Veröffentlichung in Bibliotheksdienst ist 2002 vorgesehen).

4 BVerfGE 58, 1982, S. 147

5 G. Beger, ebd. S. 1.

6 Empfehlungen der KMK ...Beschluss vom 8.10.1993, in: Bibliotheksdienst 28, H. 4, S. 479.

 

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